Als ich neulich zufälligerweise gefragt wurde, ob ich nach Wales reisen möchte, habe ich etwas vorschnell zugesagt. Erst zwei Tage vor Abreise habe ich mir das Programm durchgelesen: Auf dem Plan standen Fußball und Rugby, außer mir waren fast nur Sportjournalisten dabei. Tja, Rugby habe ich während meiner Zeit in Südafrika ganz gerne gesehen, dort ist es Volkssport. Und Fußball gucken ok, aber mit zwei Mannschaften, von denen ich noch nie gehört habe? Egal, es geht nach Wales!!
Cuddly Cardiff – die Hauptstadt von Wales ist überraschend gemütlich
Mit nur rund 350.000 Einwohnern gehört die walisische Hauptstadt zwar nicht zu den größten Europas, aber bestimmt zu den gemütlichsten. Die lebendige Innenstadt rund um das Schloss Cardiff Castle ist mit Kopfsteinpflaster und engen Gassen schon so, wie man sich eine britische Stadt vorstellt. Heute ist in Cardiff allerdings der Bär, bzw. der Drache, das Nationaltier los. Wales spielt Rugby gegen England – und das ist wohl mindestens so brisant wie ein Fußballspiel Deutschland gegen Niederlande. Rugby ist hier in Wales der absolute Nationalsport, oder wie mir unser Reiseführer Mike erklärt: „Rugby isn´t just sport – it´s our religion!“ Mike läuft schon den ganzen Tag in roter Sportjacke rum, der Farbe der Nationalmannschaft. Mit jeder halben Stunde, die vergeht wird er nervöser. Das Spiel findet im Principality Stadium (oder wie die meiste Cardiffer es immer noch nennen: das Millenium-Stadium) statt, mitten in Cardiff. Ins Stadion passen rund 75.000 Zuschauer, dazu werden weitere 100.000 Leute erwartet, die das Spiel in den Pubs ansehen und ihr Team anfeuern wollen.
Cardiffs Straßen sehen rot
Es ist zwei Uhr nachmittags, Cardiffs Straßen füllen sich, das Gedränge wird dichter. Noch drei Stunden bis zum Spiel. Überall gibt es Fan-Ausstattung zu kaufen, Gesichts-Schminker verdienen sich zwei Pfund pro Flagge, viele schmücken sich mit Drachen (Wales), wenige mit Rosen (England). Die Stimmung auf der Straße wird immer lebhafter – hier und heute muss man zum Rugby-Fan werden!
Cider, Oasis und Tom Jones
Als unsere Pressereise geplant wurde, waren die Tickets im Stadion schon längst ausverkauft. Also hat Mike uns einen Tisch in einem Pub etwa 500 Meter vom Stadion entfernt reserviert. Zum Glück, denn als wir eine Stunde vor Spielbeginn eintrudeln, steht draußen eine Schlange mit etwa 40 Walisern, die auch in den Pub wollen. Dort ist es schon super voll, ein dichtes Gedränge aus roten Rugbyshirts sowie tiefen Ausschnitten (manche Britinnen ziehen auch im Februar echt wenig an …). Die Stimmung ist super! Tom Jones tönt aus den Boxen (der Tiger ist Waliser), bevor eine Liveband Oasis covert. Ich habe für meinen Liebsten als Mitbringsel auf der Straße ein Rugby-Trikot für ca. 30 € gekauft und trage es jetzt schon mal 😉
Das Spiel beginnt, die Stimmung kocht hoch, Wales führt … Und verliert in den letzten fünf Minuten doch noch gegen England. Tja, eine Minute gibt es enttäuschte Gesichter, dann wird wieder Tom Jones aufgelegt und auch der hartgesottenste Fan wiegt sich zu „Sex Bomb“. „Verlieren sind wir gewohnt“, verrät Mike. „Davon lassen wir uns die Laune nicht verderben.“ So hart es auf dem Spielfeld zu geht, Rugby ist unter den Zuschauern ein extrem friedlicher Sport. Hooligans oder Ausschreitungen kommen nicht vor. Ob es daran liegt, dass die Zuschauer zu ca. 40% aus Frauen bestehen?
Der Morgen danach
Gestern noch das Spiel des Jahres, heute Vormittag ist schon fast wieder aufgeräumt. Wir bekommen eine Tour hinter die Kulissen des Principality Stadium. Neben Sportevents wie Länderspielen oder z.B. dem Champions-League-Finale treten hier auch Superstars wie Beyoncé, Justin Biber oder Robbie Williams auf. Bei typisch walisischem Wetter wird das Dach des Stadions geschlossen und bildet dann eine der größten Arenen der Welt. Wir betreten das Stadion durch den Spieler-Eingang und dürfen in die Umkleidekabinen, den Raum für Pressekonferenzen und hören vom Band eine Rede vom Coach an sein Team kurz vor dem Spiel. Sogar ich bekommen Gänsehaut!
Der Weg der Spieler
Dann geht es durch die Katakomben den Weg, den sonst die Spieler ins Stadion nehmen. Auch jetzt sorgt Gejubel vom Band für eine tolle Atmosphäre – obwohl wir heute die Einzigen im Stadion sind!
Zum Abschluss dürfen wir noch in die Presidenten Lounge und wissen jetzt genau, wo die Queen oder Prince William sitzen, wenn sie sich ein Spiel ansehen – nämlich ganz nah am Pokal!
Fußball & Champagner – so lässt sich der Sonntag aushalten
Mittags geht es nach Swansea, eine Stadt am Meer, die etwa eine Autostunde von Cardiff entfernt ist. Wir schauen uns Fußball an. Und zwar nicht nur irgendein Spiel: Der amtierenden Meister der Premier League, Leicester, trifft im Liberty Stadium (20.000 Zuschauer) – auf die Swansea. Klingt großartig, ist aber tatsächlich ein Spiel im Abstiegskampf. Und mein erstes Mal in einem Fußballstadion. Ich bin gespannt … und eine Stunde später satt, zufrieden und ein wenig mit Champagner angeheitert. Denn netterweise durften wir direkt in eine VIP-Loge.
Neben weichen Sesseln, Buffet, warmen Gerichten und viel Champagner und Wein gab es noch Interviews mit walisischen Fußball-Promis, Gewinnspiele und andere nette Sachen. Wie zum Beispiel Gespräche über britische Literatur mit meiner entzückenden Tischnachbarin Rmishka. Aber das sind jetzt ganz persönliche Eindrücke.
Das Spiel draußen beginnt. Der Deutsche Robert Huth spielt für Leicester und kassiert eine gelbe Karte. Swansea macht zwei Tore, Leicester keins, alle gehen glücklich in die Halbzeitpause. Kaffee, Tee und Welsh Cakes stehen für uns bereit, warme Suppe auch. Rmishka und ich trinken noch etwas Champagner auf die zwei Tore und plaudern über Musik. Gefällt mir gut, so ein Sonntag im Fußballstadion.
Tipp: Gewohnt habe ich übrigens im The Village Hotel & Spa, etwa 3 km außerhalb Cardiffs Stadtkern. Wirkte erst wie eine noble Jugendherberge, entpuppte sich aber als nettes, empfehlenswertes Hotel mit schönen Zimmern, extrem gemütlichen Betten und toller Küche.
Natürlich habe ich mir in Cardiff nicht nur Sport angeguckt, sondern mich auch auch der Kultur gewidmet, oh yes. Cardiff hat ein fantastisches Museum und ein tolles Schloss mit wahnsinnig aufwändiger Innenarchitektur. Und ein entzückendes Hafenviertel und tolle Geschäfte und und und… Davon berichte ich euch nächstes Mal!